Radical Art

Radical Art heute - Sisyphos rollt den Felsen?

Radical Art bedeutet radikale Kunstpraxis

Was kann man darunter verstehen?

Andrew Wilson hat dies in einem Essay zum Thema “Radical Art Practices in London in the Seventies” so ausgedrückt:

“Viele Künstler identifizierten sich in diesem Zeitraum aktiv mit dem Klassenkampf und den Arbeiterrechten. Hierin spiegelt sich der Übergang von einer Kunst, welche den Zustand der Kunst hinterfragte, zu einer Kunst, welche die Rolle der Kunst innerhalb einer Gesellschaft infrage stellte und schließlich zur Inkraftsetzung einer Kunst führen sollte, die für eine solche Identifikation stehen sollte und mit ihr arbeiten sollte.”

Es ging darum, fotografische Bilder auf eine Weise zu präsentieren, welche die Strukturen der orthodoxen Kultur entlarven und in Frage stellen sollte, um so auch ihre Kodierungen und ideologische Basis zu demontieren.”

Damit ist der Rahmen für radical art bzw. radikale Kunstpraxis klar so wie sie in den 70er Jahren verstanden wurde. Man wollte die Menschen dazu bringen, durch Hinterfragen zu fragen und durch kritisches Denken zum Mitmachen und zu sozialen Veränderungen zu kommen mit dem Ziel, bessere soziale Verhältnisse zu bekommen.

Damit sind wir mitten im Feld der Politik und der unterschiedlichen Interessen gelandet. Aber weil es kein Klassenbewußtsein bei den unteren Klassen mehr gibt, dafür aber bei den oberen Klassen, reicht die frühere Betrachtungsweise nicht mehr aus.

Das ist dann die Aufgabe von heute, die eine radikale Kunstpraxis hat oder haben könnte.

Es geht eben nicht mehr allein darum mit künstlerischen Ausdrucksformen den unteren Klassen zu helfen (wobei zu fragen wäre aus welcher Position heraus?), wenn parallel die oberen Klassen ihre eigene digitale Kunst entwerfen lassen und mit sozialen und digitalen Unterscheidungsmerkmalen arbeiten.

Früher war die Klassengesellschaft ein Kampfbegriff der Arbeiterklasse, um sich die Teilnahme an anderen Dingen zu erstreiten. Heute ist dies ein Abgrenzungsbegriff der Oberklasse der Reichen, die sich abgrenzen.

Das System heißt in Deutschland Agenda2010 und ist eine Methode des Neoliberalismus.

Digitale soziale Unterscheidungsmerkmale definieren sich heute in erster Linie durch Geld und dann durch Selektion. Für Zutritt zu bestimmten Communities ist ein hoher Preis zu bezahlen, für die Teilnahme an Wettbewerben muß man sich “qualifizieren” und bezahlen und natürlich muß das Kameraequipment in den Fotos dokumentieren, daß die Kamera mindestens 6000 Euro gekostet hat. Das sind aber nur kleine Beispiele.

Zutritt zu Veranstaltungen, Seminare und Schulungen sind eine andere Hausnummer. Ich erinnere daran, daß sog. Photography oder Fotografie-Schulungen in New York den Nachweis von 50.000 Dollar plus Teilnahmegebühr voraussetzen.

So bleibt man unter sich und schottet sich ab.

Die Frage ist, ob es etwas nutzt, dies auch künstlerisch und fotografisch immer wieder konkret darzustellen, denn der Anspruch von radikaler Kunst ist ja die Einmischung in die sozial-visuelle Kommunikation online und offline um etwas zu verändern.

Nach London in den 70er Jahren des 20. Jhrdts. kam es nach Paris Anfang des 21. Jhrdts.

Hier vermischen sich in digitalen Zeiten auch Fotografie und Journalismus weil beides Bestanteil visueller sozialer Kommunikation ist.

Mehr Wissen hat ja auch nicht zu mehr Bildung geführt weil die klassischen Bildungswege heute weniger Zugangsmöglichkeiten bieten als früher. Zivilisatorisch sind wir stärker mcdonaldisiert als je zuvor aber die Chancen des Einzelnen aus seinem Klassenstatus zu kommen sind geringer als je zuvor. Der Aufstieg des kleinen Mannes ist der Beamtenstatus. Damit erkauft man sich lebenslange materielle Sicherheit für den Preis der absoluten Unterordnung unter das System der Mächtigen, die hinter der Politik stecken, deren Interessenvertreter aus privaten Interessen Staatsinteressen machen.

Nun gut, es ist eben so:

Man kann sich auch in den unteren Schichten oder Klassen zu Tode amüsieren ohne etwas ändern zu wollen.

Dann erhält radikale Kunstpraxis diesseits und jenseits der eigenen Tätigkeit den Status des Felsbrocken von Sisyphos.

Hier könnte ich nun noch tausend Zeilen schreiben, die erspare ich mir aktuell.

 

 

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